Wie politisch darf oder sollte BNE sein? (Transformation gestalten lernen #4)

Shownotes

Können wir eine global gerechte Gesellschaft allein durch unseren nachhaltigen Konsum schaffen? Oder geht es vielmehr darum, die aktuellen Strukturen langfristig zu verändern? Eine transformative Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) nimmt strukturelle Herausforderungen ebenso wie Fragen von Macht und Interessen in den Blick – und ist somit immer auch politisch. Dabei ist es zentral, Bildungsgelegenheiten im Alltag zu schaffen und politisches Handeln zu begleiten. Das unterstreicht der Politikdidaktiker Professor Dr. Alexander Wohnig von der Universität Siegen im Gespräch mit unserer Kollegin Daniela Baum aus dem BNE-Team.

Wohnig erläutert, warum politische Bildung konfliktorientiert ist und zunehmend zu politischem Handeln befähigt – und warum einige Lehrende trotzdem weiterhin Vorbehalte gegen „zu“ politische Bildung haben. Dabei sei Bildung nie neutral: Eine Bildung FÜR etwas gebe schon mit ihrem Namen eine normative Richtung vor – und damit könne man offen umgehen und dennoch kontroverse Positionen diskutieren.


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Die von den eingeladenen Gäst:innen vertretenen Meinungen und Positionen geben nicht zwingend die Ansichten von Germanwatch wieder.


Idee: Daniela Baum

Redaktion: Elisa Thomaset

Schnitt: Franca Bruder

Musik: perplex


Diese Folge wurde gefördert von Engagement Global mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie von der Postcode-Lotterie.

Transkript anzeigen

00:00:00: Alexander Wohnig: Von daher würde ich sagen, ist dieser Diskurs um eine sozial-ökologische Transformation,

00:00:05: Alexander Wohnig: der stark auf Herrschaftsstrukturen schaut,

00:00:08: Alexander Wohnig: auf Fragen wie Kapitalismus funktioniert, wie Nachhaltigkeit oder Klima mit

00:00:15: Alexander Wohnig: Kapitalismus oder Produktionsverhältnissen, Produktionsweisen zusammenhängt,

00:00:19: Alexander Wohnig: das würde ich sagen, ist genuine politische Bildung.

00:00:23: Elisa Thomaset: Hallo und herzlich willkommen zur vierten und letzten Folge unserer Reihe Transformation

00:00:27: Elisa Thomaset: gestalten lernen im GermanWatch Podcast.

00:00:29: Elisa Thomaset: In dieser Reihe diskutieren unsere Kolleginnen aus dem Bereich Bildung für nachhaltige

00:00:33: Elisa Thomaset: Entwicklung, kurz BNE, miteinander und mit Gästinnen, wie wir mit Bildung und

00:00:38: Elisa Thomaset: transformativen Engagement gesellschaftliche Strukturen verändern können.

00:00:43: Elisa Thomaset: Ihr fragt euch, was transformative Bildung ist und wie man diese in die Praxis

00:00:46: Elisa Thomaset: umsetzen kann? Dann hört euch am besten erstmal die ersten drei Folgen dieser Reihe an.

00:00:51: Elisa Thomaset: Heute geht es um die Frage, wie politisch Bildung für nachhaltige Entwicklung

00:00:55: Elisa Thomaset: sein darf oder sogar sein soll.

00:00:58: Elisa Thomaset: Darüber unterhalten sich unsere Kollegin Daniela Baum aus dem BNE-Team und Professor

00:01:02: Elisa Thomaset: Dr. Alexander Wohnig von der Universität Siegen.

00:01:05: Elisa Thomaset: Er lehrt und forscht dort im Fachbereich der sozialwissenschaftlichen Bildung

00:01:09: Elisa Thomaset: und setzt sich intensiv mit der Frage auseinander, wie Bildung zu politischem

00:01:13: Elisa Thomaset: Handeln ermutigen kann. Viel Spaß beim Zuhören.

00:01:16: Daniela Baum: Ja, nochmal ganz herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen für das Gespräch,

00:01:20: Daniela Baum: Herr So ganz aktuell beschäftigt mich gerade tatsächlich auch wieder der Protest

00:01:28: Daniela Baum: im rheinischen Braunkohlerevier.

00:01:30: Daniela Baum: Das ist jetzt zum Zeitpunkt der Aufnahme gerade wieder. Da ging es um den Protest

00:01:34: Daniela Baum: rund um Lützerath, dieses Örtchen, was abgebaggert werden soll.

00:01:38: Daniela Baum: Und da war eine sehr große Demo und das Örtchen war besetzt längere Zeit,

00:01:44: Daniela Baum: ist jetzt geräumt worden.

00:01:45: Daniela Baum: Das ist natürlich eine sehr radikale Form des zivilen Ungehorsams, die da stattfindet.

00:01:51: Daniela Baum: Oder wenn wir auch an die letzte Generation denken,

00:01:55: Daniela Baum: also die als leicht diffamierend Klimakleber bezeichneten Aktivisten dort,

00:02:00: Daniela Baum: die sich an Straßen festkleben und wo es sehr starke Kontroversen in den Medien gibt.

00:02:06: Daniela Baum: Aber letztlich auch schon das Schuleschwänzen von den Fridays for Future ist

00:02:11: Daniela Baum: ja auch eine Form von zivilem Ungehorsam.

00:02:15: Daniela Baum: Ist dann diese radikale politische Handlungsform,

00:02:20: Daniela Baum: ist das vielleicht etwas, was einige Bildungsakteure, Akteurinnen und Lehrkräfte

00:02:25: Daniela Baum: abschreckt davor, Bildung für nachhaltige Entwicklung politischer zu denken und auch umzusetzen.

00:02:33: Alexander Wohnig: Ja, also ich glaube, dass das tatsächlich so die Kernfrage ist bei der Diskussion,

00:02:40: Alexander Wohnig: um so den Fokus darauf zu legen, ob BNE politische Bildung ist oder wie sie

00:02:46: Alexander Wohnig: politische Bildung initiieren kann.

00:02:49: Alexander Wohnig: Und da würde ich bei allen den von Ihnen genannten Beispielen sagen,

00:02:54: Alexander Wohnig: dass das zunächst einmal aus Sicht politischer Bildung, vielleicht ganz nüchtern

00:02:58: Alexander Wohnig: gesprochen, auch Bildungsgelegenheiten sind oder Bildungsanlässe sind.

00:03:03: Alexander Wohnig: Also Proteste, die sich im Kontext der Klimakrise sozusagen ereignen,

00:03:08: Alexander Wohnig: sind immer Bildungsgelegenheiten und Bildungsanlässe.

00:03:12: Alexander Wohnig: Ob man nun dabei ist oder nicht, kann man darüber sozusagen reflektieren.

00:03:16: Alexander Wohnig: Man kann fragen, warum diese Proteste stattfinden.

00:03:20: Alexander Wohnig: Man kann über die Sinnhaftigkeit der Protestform vielleicht auch diskutieren.

00:03:24: Alexander Wohnig: Man kann aber auch kritische Fragen stellen, die so in die Richtung gehen,

00:03:28: Alexander Wohnig: inwiefern es nicht auch andere Strukturen in diesem Themengebiet gibt,

00:03:33: Alexander Wohnig: jetzt bei der Braunkohle zum Beispiel.

00:03:35: Alexander Wohnig: Aber ich glaube auch, dass unter Bildungsakteurinnen und Akteuren und auch unter

00:03:41: Alexander Wohnig: Lehrerinnen und Lehrern es teilweise Vorbehalte gibt gegenüber einer zu politischen,

00:03:47: Alexander Wohnig: in Anführungszeichen, Thematisierung von Themen, die oft entpolitisiert werden.

00:03:54: Alexander Wohnig: Also da hätte man bei BNE diese klassische Gegenüberstellung.

00:03:59: Alexander Wohnig: Geht es jetzt darum, in Bildungsprojekten oder aus der Schule heraus Supermärkte

00:04:04: Alexander Wohnig: aufzusuchen, um dort Menschen aufzuklären, dass sie auch ohne Plastik einkaufen können?

00:04:09: Alexander Wohnig: Oder geht es darum, strukturelle Machtherrschaftsverhältnisse zu erkennen,

00:04:15: Alexander Wohnig: vielleicht auch Ungleichheiten in Machtverteilung zu erkennen,

00:04:19: Alexander Wohnig: um vielleicht sich selbst auch einzumischen, um auch Machtverteilung zu verändern

00:04:24: Alexander Wohnig: oder Verhältnisse zu kritisieren.

00:04:27: Alexander Wohnig: Und da ist das eine natürlich sehr unverdächtig. Also was soll man schon dagegen

00:04:32: Alexander Wohnig: haben, wenn Kinder und Jugendliche andere darauf hinweisen, dass man auch ohne

00:04:36: Alexander Wohnig: Plastik einkaufen kann?

00:04:38: Alexander Wohnig: Wohingegen das andere natürlich konflikthafter ist.

00:04:42: Alexander Wohnig: Es ist kritischer, es verweist vielleicht auf eine Gesellschaft,

00:04:46: Alexander Wohnig: die ihrer Selbsterzählung nicht ganz entspricht und vielleicht auch zu Protest anregt.

00:04:53: Alexander Wohnig: Und da kann man beobachten, dass das schon oft mit Vorsicht angefasst wird.

00:04:59: Daniela Baum: Ist aber nicht eigentlich genau das auch ein Kern, also sich mit Konflikt oder

00:05:05: Daniela Baum: auch Protest auseinanderzusetzen oder da auch Kompetenzen zu erwerben,

00:05:09: Daniela Baum: wie man gut Konflikte austragen kann.

00:05:12: Daniela Baum: Ist das nicht eigentlich ein Kern von politischer Bildung?

00:05:16: Alexander Wohnig: Ja, da gibt es tatsächlich eine spannende Ambivalenz in der politischen Bildung.

00:05:20: Alexander Wohnig: Auf der einen Seite wieder sozusagen diese Konfliktorientierung seit den 70er

00:05:24: Alexander Wohnig: Jahren, die sich als didaktisches Prinzip eigentlich durchgesetzt hat.

00:05:28: Alexander Wohnig: Also die Überzeugung, politische Bildung kann gelingen, wenn aktuelle Probleme,

00:05:34: Alexander Wohnig: Konflikte, Fälle analysiert werden. Das ist etwas, was sich wahnsinnig durchgesetzt

00:05:38: Alexander Wohnig: hat, auch in der schulischen Politikdidaktik.

00:05:41: Alexander Wohnig: Also ein bisschen weg von dieser Schulbuch-Kundeorientierung rein fokussieren

00:05:45: Alexander Wohnig: auf Institutionen, lernen hin zu wir bearbeiten aktuelle Konflikte,

00:05:51: Alexander Wohnig: vermeintlich auch aus unserem Umfeld, die irgendwie die Kinder und Jugendlichen betreffen.

00:05:56: Alexander Wohnig: Auf der anderen Seite haben wir auch Studien, die zeigen, dass sowohl bei Lehrerinnen

00:06:02: Alexander Wohnig: und Lehrern, politischen Bildnerinnen und Bildnern, als auch bei Kindern und

00:06:05: Alexander Wohnig: Jugendlichen ein sehr negatives Verständnis von Konflikt vorherrscht.

00:06:11: Alexander Wohnig: Also Konflikte gelten da als etwas zu vermeidendes, was am besten schon vermieden

00:06:15: Alexander Wohnig: wird präventiv bevor es überhaupt auf.

00:06:19: Alexander Wohnig: Wir haben Konflikt-Trainings, wir haben Streitschlichter an Schulen.

00:06:23: Alexander Wohnig: Wir haben alle möglichen Programme, um Konflikte zu vermeiden,

00:06:27: Alexander Wohnig: gar nicht erst aufkommen zu lassen oder möglichst schnell in einem Konsens oder

00:06:33: Alexander Wohnig: einer Lösung sozusagen aufzulösen.

00:06:35: Alexander Wohnig: Und das führt, glaube ich, dazu, dass solche konflikthaften Situationen, wie z.B.

00:06:41: Alexander Wohnig: Jetzt in Lützerath, dass das direkt empört wahrgenommen wird.

00:06:45: Alexander Wohnig: Also auf der einen Seite hat man dann nicht mehr junge Menschen,

00:06:50: Alexander Wohnig: die sozusagen für ihre Zukunft protestieren, sondern man hat direkt irgendwie

00:06:54: Alexander Wohnig: Gewalttäterinnen und Gewalttäter, die illegitim handeln.

00:06:58: Alexander Wohnig: Auf der anderen Seite hat man dann RWE und den Staat in Anführungszeichen,

00:07:03: Alexander Wohnig: der da seine Interessen oder die Kapitalinteressen durchsetzt.

00:07:06: Alexander Wohnig: Und diese Interessen, also die Interessen nach einer nachhaltigen Zukunftsgestaltung

00:07:13: Alexander Wohnig: und dieses Interesse danach,

00:07:15: Alexander Wohnig: diese Kohle weiter abzubaggern und zu verwerten und so weiter,

00:07:19: Alexander Wohnig: das zu analysieren, wie diese Interessensgegensätze

00:07:22: Alexander Wohnig: wirken, das wäre konfliktorientierte politische Bildung.

00:07:27: Alexander Wohnig: Aber ich würde auch vermuten, dass man eher oftmals so eine Art Konfliktvermeidungsstrategie sieht.

00:07:34: Alexander Wohnig: Und solche Debatten um kollektive Protestierende als Gewalttäterin sind dann

00:07:40: Alexander Wohnig: ja auch Ablenkungsmanöver von dieser eigentlich konflikthaften Geschichte.

00:07:47: Daniela Baum: Ist das dann generell so eine Tendenz in der politischen Bildung,

00:07:52: Daniela Baum: dass es da so eine Konfliktscheu gibt?

00:07:54: Daniela Baum: Und sehen Sie da eine Veränderung auch aufgrund eben dieser multiplen Krise,

00:08:00: Daniela Baum: wie sie auch so schön genannt wird, in der wir uns befinden?

00:08:03: Daniela Baum: Also dass es mindestens unterschwellig, die meisten Leute kapiert haben,

00:08:08: Daniela Baum: so können wir nicht weitermachen, es muss sich was verändern.

00:08:12: Daniela Baum: Sehen Sie da die politische Bildung darauf reagieren und sich verändern und

00:08:18: Daniela Baum: wieder repolitisieren.

00:08:22: Alexander Wohnig: Ja, also ich glaube, es ist schon

00:08:24: Alexander Wohnig: eine Entwicklung, auch im Feld der politischen Bildung zu beobachten.

00:08:27: Alexander Wohnig: Es ist zum Beispiel zu beobachten, dass politisches Handeln,

00:08:32: Alexander Wohnig: politische Aktionen, nicht mehr per se skeptisch betrachtet werden im Kontext politischer Bildung.

00:08:39: Alexander Wohnig: Also, dass man tatsächlich jetzt einen Diskurs hat, in dem man sagen kann,

00:08:42: Alexander Wohnig: okay, aus politischer Bildung kann politisches Handeln entstehen.

00:08:47: Alexander Wohnig: Aus der Beschäftigung mit einem Konflikt kann sozusagen auch politisches Handeln entstehen.

00:08:56: Alexander Wohnig: Oder politisches Handeln kann auch der Ausgangspunkt für politische Bildung sein.

00:09:00: Alexander Wohnig: Da ist die außerschulische politische Jugend- und Erwachsenenbildung schon immer

00:09:05: Alexander Wohnig: sehr viel offener für gewesen.

00:09:07: Alexander Wohnig: Das hat auch was damit zu tun, dass es auch immer schon Seminarangebote gab,

00:09:11: Alexander Wohnig: die an Menschen gerichtet waren, die politisch aktiv waren und die da ihr Aktivsein

00:09:17: Alexander Wohnig: noch mal reflektiert haben, angepasst haben usw.

00:09:20: Alexander Wohnig: Wo hingegen in der schulichen politischen Bildung doch auch so ein Diskurs zu beobachten ist,

00:09:24: Alexander Wohnig: in dem politisches Handeln nicht unter Generalverdacht, aber zumindest verdächtig

00:09:30: Alexander Wohnig: ist, überwältigend zu sein, wenn es aus schulischer politischer Bildung entspringt.

00:09:36: Alexander Wohnig: Und da, würde ich sagen, entwickelt sich politische Bildung stark weiter.

00:09:40: Alexander Wohnig: Aber wie bei allem gibt es auch eine andere Seite und das lässt sich vielleicht

00:09:45: Alexander Wohnig: an diesem sehr ideologischen Neutralitätsdiskurs vielleicht ein bisschen verdeutlichen,

00:09:50: Alexander Wohnig: dass es da natürlich auch so eine Art Verschiebung gibt hin dazu,

00:09:56: Alexander Wohnig: so Neutralität einzufordern an allen Stellen, an denen jemand Position ergreift.

00:10:02: Alexander Wohnig: Das würde ich sagen, ist so die Gegenseite.

00:10:04: Alexander Wohnig: Also wir haben auf der einen Seite schon eine politische Bildung,

00:10:06: Alexander Wohnig: die sich öffnet, auch hin zum Handeln, Positionen ergreifen,

00:10:10: Alexander Wohnig: Positionen der Öffentlichkeit kundtun. Wir haben aber auch einen Diskurs,

00:10:13: Alexander Wohnig: der nicht von der Fachöffentlichkeit geteilt wird, aber der sehr präsent ist über dieses.

00:10:18: Alexander Wohnig: Politische Bildung sollte eigentlich neutral sein und sie sollte sich nicht

00:10:21: Alexander Wohnig: einmischen und alle Optionen sind möglich und man sollte keinen nicht wirklich Standpunkt beziehen.

00:10:28: Daniela Baum: Was ja eigentlich fast ein Paradoxon in sich ist, dass politische Bildung neutral

00:10:33: Daniela Baum: sein sollte, auch generell Bildung.

00:10:35: Daniela Baum: Man geht ja immer als als Mensch mit mit all seinen Werten und seiner Haltung

00:10:41: Daniela Baum: in so einen Lernkontext rein. Es wäre ja vollkommen weltfremd zu behaupten,

00:10:47: Daniela Baum: ich kann das alles abstreifen.

00:10:49: Daniela Baum: Das Stichwort war ja auch die Überwältigung.

00:10:51: Daniela Baum: Da gibt es ja noch den berühmten Beutelsbacher Konsens, der immer noch über

00:10:57: Daniela Baum: allem schwebt, der ja auch schon aus den 1970er-Jahren kommt.

00:11:01: Daniela Baum: Vielleicht können Sie noch mal ganz kurz sagen, was da so die drei Kernpunkte

00:11:04: Daniela Baum: sind beim Beutelsbacher Konsens.

00:11:07: Alexander Wohnig: Der Wolfsbacher Konsens ist historisch entstanden in einer sehr konflikthaften

00:11:10: Alexander Wohnig: Situation. Von daher ist es interessant, dass es ein Versuch ist,

00:11:14: Alexander Wohnig: einen Konflikt in der Profession einzuebnen.

00:11:16: Alexander Wohnig: Was dann ganz gut funktioniert hat, indem man sich darauf geeinigt hat, Ähm...

00:11:21: Alexander Wohnig: Dass es sozusagen ein Verbot der Überwältigung gibt, dass es ein Kontroversitätsgebot

00:11:26: Alexander Wohnig: gibt. Also, was in Wissenschaft und Öffentlichkeit kontrovers ist,

00:11:29: Alexander Wohnig: soll auch dann kontrovers präsentiert werden, kontrovers bearbeitet werden.

00:11:34: Alexander Wohnig: Dann eben das Verbot der Überwältigung.

00:11:36: Alexander Wohnig: Also, die Lehrperson soll die Kinder und Jugendlichen nicht sozusagen überwältigen,

00:11:41: Alexander Wohnig: indem sie eine Position aufzwängt.

00:11:43: Alexander Wohnig: Und das Dritte ist, wird meistens als Subjektorientierung oder Interessensorientierung

00:11:48: Alexander Wohnig: verstanden. die Kinder und Jugendlichen sollen, befähigt werden,

00:11:51: Alexander Wohnig: ihre Interessen in der Öffentlichkeit zu vertreten.

00:11:53: Alexander Wohnig: Während der letzte Punkt quasi so ein bisschen auch auf so politisches Handeln zielt und zeigt,

00:11:58: Alexander Wohnig: okay, politische Bildung soll den Leuten auch schon Möglichkeiten geben oder

00:12:02: Alexander Wohnig: zumindest irgendwie Möglichkeiten dazu fürgeben,

00:12:05: Alexander Wohnig: so ein Bewusstsein für die Möglichkeit der Durchsetzung der eigenen Interessen

00:12:09: Alexander Wohnig: oder der Artikulation der eigenen Interessen zu geben, kann man doch beobachten,

00:12:13: Alexander Wohnig: dass die ersten beiden Sätze Neutralitätsgebot abgeleitet wird.

00:12:19: Alexander Wohnig: Also das Kontroversitätsgebot wird dann oft so interpretiert,

00:12:22: Alexander Wohnig: dass man sagt, alle Positionen sollen irgendwie geäußert werden.

00:12:26: Alexander Wohnig: Und es soll auch dann keine Instanz geben, die sagt, das ist die bessere Position.

00:12:33: Alexander Wohnig: Oder die hat normativ mehr Gehalt. Da sind bekannt diese AfD-Meldeportale für

00:12:39: Alexander Wohnig: Lehrerinnen und Lehrer.

00:12:41: Alexander Wohnig: Wo die AfD eben sagt, na ja, wenn ein Lehrer und eine Lehrerin Wenn man uns

00:12:44: Alexander Wohnig: als Partei mit unseren Positionen in der Schule kritisiert, dann verstößt das dagegen.

00:12:49: Alexander Wohnig: Verknüpft mit dem Überwältigungsverbot entsteht dann so was wie,

00:12:52: Alexander Wohnig: ja, alles ist irgendwie sagbar und möglich zu sagen an Positionen.

00:12:58: Alexander Wohnig: Und es soll auch keine Instanz dann geben, pädagogisch, die das auch bewertet.

00:13:03: Alexander Wohnig: Oder die sagt, meine Position ist so und so, aber ich bin so und so zu dem Urteil gekommen.

00:13:07: Alexander Wohnig: Das ist natürlich gefährlich, das meint der Beutelsbacher Konsens aber auch

00:13:11: Alexander Wohnig: nicht. Ich würde auch sagen, dass eine gute Didaktikerin oder ein guter Pädagoge

00:13:15: Alexander Wohnig: immer auch fähig ist zu sagen, was die eigene Position ist, ohne dass die Kinder

00:13:20: Alexander Wohnig: und Jugendlichen davon überwältigt werden.

00:13:22: Alexander Wohnig: Und natürlich gibt es Positionen, die aus einer bestimmten normativen Sicht

00:13:26: Alexander Wohnig: und bestimmten Orientierung anders zu bewerten sind als andere Positionen.

00:13:34: Alexander Wohnig: Von daher würde ich sagen, das ist eher die Interpretation, die Lesart oder

00:13:37: Alexander Wohnig: auch die politische Intention, wie der Beuteswache Konsens eingesetzt wird in

00:13:42: Alexander Wohnig: Diskursen, der sozusagen den zu einem Fallstrick macht.

00:13:45: Alexander Wohnig: Aber ich wollte eigentlich noch was zu diesem Neutralitätsding sagen auf der Ebene von Bildung.

00:13:50: Alexander Wohnig: Ich würde da noch einen Schritt vorgehen und würde sagen, Bildung an sich ist auch nie neutral.

00:13:55: Alexander Wohnig: Also auch in einer demokratischen Gesellschaft, in einem demokratischen Staat

00:13:59: Alexander Wohnig: hat Bildung Bildung ist immer eine

00:14:01: Alexander Wohnig: Funktion, die sie schon außerhalb einer vermeintlichen Neutralität setzt.

00:14:05: Alexander Wohnig: Denn Bildung ist zwar immer auch dafür da, sich zu befreien und Kritik zu äußern

00:14:10: Alexander Wohnig: und eine andere Sicht auf Welt zu bekommen, Zukunft zu gestalten.

00:14:15: Alexander Wohnig: Und das ist für Transformation ja ganz wichtig, Bildung als etwas,

00:14:18: Alexander Wohnig: die Zukunft anders zu denken.

00:14:20: Alexander Wohnig: Aber Bildung ist auch in jeder Gesellschaft immer Herrschaft,

00:14:24: Alexander Wohnig: Anpassung an die bestehenden Verhältnisse.

00:14:26: Alexander Wohnig: Keine Gesellschaft hält sich ein Bildungssystem, um sich selbst abzuschaffen,

00:14:30: Alexander Wohnig: sondern es ist immer auch Integrationsfunktion, Anpassung, auch Fitmachen für

00:14:36: Alexander Wohnig: den Arbeitsmarkt und so weiter.

00:14:38: Alexander Wohnig: Von daher ist Bildung qua Intention nicht neutral,

00:14:43: Alexander Wohnig: sondern immer Möglichkeit zur Kritik und zur Emanzipation, zur Gestaltung der

00:14:49: Alexander Wohnig: Zukunft, aber auch immer ein Fokus auf die Gegenwart, Anpassung an die bestehenden

00:14:54: Alexander Wohnig: Verhältnisse, Integration ins System.

00:14:57: Alexander Wohnig: Und ich glaube, das ist für die Transformationsdebatte vielleicht ganz entscheidend,

00:15:01: Alexander Wohnig: inwiefern man diesen einen Aspekt von Bildung, nämlich den der Kritik,

00:15:05: Alexander Wohnig: der Zukunftsoffenheit, stark machen kann.

00:15:08: Alexander Wohnig: Oder inwiefern der andere, nämlich sozusagen dieser Fokus auf die Prävention,

00:15:12: Alexander Wohnig: das Bestehende, nicht überhand gewinnt.

00:15:15: Daniela Baum: Das ist auch ein Gedanke, weil wir ja tatsächlich in der Bildung für nachhaltige

00:15:19: Daniela Baum: Entwicklung einfach schon mit einer normativen Haltung ja reingehen.

00:15:25: Daniela Baum: Wir haben allein schon die globalen Nachhaltigkeitsziele, worauf sich die Weltgemeinschaft

00:15:33: Daniela Baum: geeinigt hat, diesen großen Plan sozusagen mit den 17 Nachhaltigkeitszielen.

00:15:39: Daniela Baum: Das ist ja eine starke normative Vorgabe.

00:15:43: Daniela Baum: Eigentlich dann der große Unterschied zwischen Bildung für nachhaltige Entwicklung

00:15:49: Daniela Baum: und der politischen Bildung. Wie nah beieinander ist das eigentlich und wo sind die Unterschiede?

00:15:56: Alexander Wohnig: Ja, man könnte bei eigentlich allen Formen von Bildung, die für etwas sind, das so sagen.

00:16:02: Alexander Wohnig: Also Bildung für nachhaltige Entwicklung oder Bildung für Toleranz, Bildung für Inklusion.

00:16:06: Alexander Wohnig: Ich würde sagen, bei allen diesen Konstruktionen ist das so,

00:16:09: Alexander Wohnig: dass Bildung da ja schon qua Begriff in einen Zweck gesetzt wird.

00:16:13: Alexander Wohnig: Ich persönlich würde sagen, das ist immer so. Von daher ist das überhaupt nicht

00:16:18: Alexander Wohnig: skandalös oder überhaupt nicht insofern problematisch, wenn man das reflektiert.

00:16:23: Alexander Wohnig: Ich hab den Eindruck, dass das auch stärker reflektiert wird.

00:16:26: Alexander Wohnig: Es gibt ja diese Debatte auch bei den SDGs, auch in diesem neuen Programm,

00:16:31: Alexander Wohnig: um Zielkonflikte zum Beispiel.

00:16:33: Alexander Wohnig: Also, inwiefern stehen da normative Vorgaben, oder Leitlinien von den SDGs nicht

00:16:39: Alexander Wohnig: auch untereinander in einem Zielkonflikt?

00:16:43: Daniela Baum: Es sind ja immerhin tatsächlich 17 globale Nachhaltigkeitsziele und dann nochmal

00:16:48: Daniela Baum: wie viel sind es 165 glaube ich Unterziele, die da erreicht werden sollen.

00:16:52: Daniela Baum: Das ist kein Wunder, dass sich das auch hier und da behakelt.

00:16:56: Alexander Wohnig: Ja und das ist ja auch nicht so, als gäbe es da keine kritische Debatte.

00:17:00: Alexander Wohnig: Also ich finde auch, dass zum Beispiel solche Begriffskonstruktionen wie sozial-ökologische

00:17:05: Alexander Wohnig: Transformationen das eigentlich auch schon anzeigen, was da diskutiert wurde.

00:17:09: Alexander Wohnig: Also sozusagen, dass man jetzt nicht mehr nur rein von nachhaltiger Entwicklung spricht oder BNE,

00:17:16: Alexander Wohnig: sondern dass es schon irgendwie darum geht, diese Klimakrise nicht rein durch

00:17:22: Alexander Wohnig: Technologien oder durch bestimmte Entwicklungen lösen zu können,

00:17:27: Alexander Wohnig: sondern dass das eine soziale Frage ist.

00:17:29: Alexander Wohnig: Und das ist für politische Bildung natürlich total spannend.

00:17:31: Alexander Wohnig: Und da würde ich sagen, ist das auch deckungsgleich. Also das ist politische

00:17:34: Alexander Wohnig: Bildung. Von daher würde ich sagen.

00:17:38: Alexander Wohnig: Dieser Diskurs um eine sozial-ökologische Transformation, der stark auf Herrschaftsstrukturen schaut,

00:17:45: Alexander Wohnig: auf Fragen wie, wie Kapitalismus funktioniert, wie Nachhaltigkeit oder Klima

00:17:51: Alexander Wohnig: mit Kapitalismus oder Produktionsverhältnissen, Produktionsweisen zusammenhängt.

00:17:56: Alexander Wohnig: Das würde ich sagen, ist genuine politische Bildung.

00:17:59: Alexander Wohnig: Also da geht es um Strukturen, da geht es um die Frage von Interessen,

00:18:05: Alexander Wohnig: von Macht, von Herrschaft, von Ideologien, von Recht, geltendem Recht,

00:18:11: Alexander Wohnig: und ob das verändert werden muss.

00:18:13: Daniela Baum: Im Grunde, wenn man es bis zum Ende durchdenkt und wir ja auch immer fordern,

00:18:18: Daniela Baum: dass diese SDGs, die globalen Nachhaltigkeitsziele oder die Agenda 2030 der Vereinten Nationen,

00:18:24: Daniela Baum: ja wirklich der Blueprint, die Vorlage sein soll für unsere Zukunft,

00:18:29: Daniela Baum: auf die wir hinarbeiten, müsste ja im Grunde genommen die politische Bildung

00:18:32: Daniela Baum: sagen, Ja, wir sind eigentlich BNE in dem Sinne.

00:18:36: Daniela Baum: Also, man müsste sich ja eigentlich ...

00:18:40: Daniela Baum: Wir fordern ja von der ganzen Politik, auch von allen Sektoren,

00:18:43: Daniela Baum: von der Wirtschaft, dass sie sich diesem Leitbild dieser Agenda 2030 auch anschließen

00:18:50: Daniela Baum: und darauf hinarbeiten.

00:18:52: Daniela Baum: Dann müsste das ja eigentlich die politische Bildung auch tun.

00:18:56: Daniela Baum: Macht sie das denn so?

00:18:59: Alexander Wohnig: Was ich spannend finde bei der Frage, Die Frage ist, mit welchen Begriffen und

00:19:03: Alexander Wohnig: Konzepten da operiert wird. Meiner Wahrnehmung nach gibt es in einem bestimmten

00:19:08: Alexander Wohnig: Kurs politischer Bildung eigentlich schon eine Verabschiedung von BNE.

00:19:12: Alexander Wohnig: Und dieser Begriff der transformativen Bildung ist stärker da.

00:19:16: Daniela Baum: Ja, wir reden ja auch von transformativer BNE hier bei German Watch.

00:19:21: Daniela Baum: Oder teilweise auch von transformativer Bildung einfach.

00:19:24: Daniela Baum: Meinen damit aber natürlich eben diese zu politischem Handeln befähigende,

00:19:28: Daniela Baum: zum Strukturenverändern, befähigende Bildung für nachhaltige Entwicklung und

00:19:34: Daniela Baum: eben nicht diesen Ansatz des individuellen Verhaltens verändern im Sinne von

00:19:40: Daniela Baum: ich konsumiere jetzt mal ein bisschen nachhaltiger,

00:19:42: Daniela Baum: weil das halt auch nicht wirklich den notwendigen Wandel bringt,

00:19:48: Daniela Baum: den wir ja brauchen bei der dieser Krise, dieser Krisen, in denen wir leben.

00:19:54: Daniela Baum: Aber zu dem Punkt, was können wir denn eigentlich mit Bildung bewirken,

00:19:58: Daniela Baum: das ist auch so eine Frage, die wir uns immer wieder stellen.

00:20:02: Daniela Baum: Können wir das überhaupt bewirken, was wir gerne bewirken möchten?

00:20:06: Daniela Baum: Schaffen wir es wirklich, die Menschen zu politischem Handeln zu ermutigen und zu befähigen?

00:20:15: Daniela Baum: Und gibt es denn überhaupt den Raum dafür? Also das finde ich auch eine ganz spannende Frage.

00:20:19: Daniela Baum: Wo geht denn diese ganze Energie hin? Wir haben einerseits diese Lernsettings,

00:20:25: Daniela Baum: Schule, außerschulische Bildung, wo auch immer, wo wir vielleicht auch schon

00:20:31: Daniela Baum: transformativer sind in den Ansätzen und in den Fähigkeiten,

00:20:35: Daniela Baum: die wir den Jugendlichen oder auch anderen Menschen einfach vermitteln.

00:20:41: Daniela Baum: Und was kommt dann? Und ich finde das ganz krass zu sehen,

00:20:46: Daniela Baum: zu hören, dass es ja viele Studien gibt, die sagen,

00:20:49: Daniela Baum: dass sich vor allen Dingen junge Menschen und auch vor allen Dingen tatsächlich hier in Deutschland,

00:20:54: Daniela Baum: das sagt wohl auch die letzte PISA-Studie, eigentlich machtlos fühlen,

00:21:00: Daniela Baum: dass sie halt politisch interessiert sind.

00:21:04: Daniela Baum: Das sieht man ja auch. Es gehen ja viele auf die Straße und protestieren.

00:21:09: Daniela Baum: Aber dass sie das Gefühl haben, ich kann eigentlich selber gar nichts verändern.

00:21:15: Daniela Baum: Also ich kann gar nicht politisch wirksam werden als junger Mensch.

00:21:18: Daniela Baum: Wo gäbe es da Ihrer Meinung nach Hebel, wie man das überwinden kann?

00:21:23: Daniela Baum: Also in welche Richtung, wo ist da die Rolle der Bildung auch,

00:21:27: Daniela Baum: oder kann Bildung in dem Punkt überhaupt was bewirken?

00:21:31: Alexander Wohnig: Der Wirkungsbegriff ist, glaube ich, insofern teilweise schwierig anzuwenden

00:21:36: Alexander Wohnig: auf politische Bildung, weil sich vieles so einer Art Messung entzieht,

00:21:40: Alexander Wohnig: was geschieht in solchen Bildungsprozessen.

00:21:44: Alexander Wohnig: Ich würde sagen, die große Aufgabe der politischen Bildung wäre hier sozusagen...

00:21:50: Alexander Wohnig: Gelegenheiten zu schaffen auf vielfältiger Ebene, also Gelegenheiten für Erfahrungen,

00:21:54: Alexander Wohnig: so im Sinne von Dewey, also sozusagen, dass man nicht nur denkt,

00:22:01: Alexander Wohnig: also Probleme durchdenkt, sondern auch handelnd in sie eingreift und dann sein

00:22:05: Alexander Wohnig: eigenes Handeln reflektiert.

00:22:07: Alexander Wohnig: Das wäre meiner Meinung nach der genuine Ort der Bildung und der politischen Bildung.

00:22:12: Alexander Wohnig: Als auch Bildungsgelegenheiten aus Alltagssituationen zu schaffen.

00:22:18: Alexander Wohnig: Und die aufzugreifen auch, indem man A, sozusagen sich fragt,

00:22:24: Alexander Wohnig: wo kommt so ein Problem oder so ein Konflikt her?

00:22:27: Alexander Wohnig: Und was ist strukturell, liegt dem sozusagen zugrunde?

00:22:30: Alexander Wohnig: Also was ist wirklich das Problem, das hinter einem entdeckten Konflikt steht?

00:22:36: Alexander Wohnig: Und um das auch wirklich zu durchdringen. Und B, dann aber auch die Frage zu

00:22:40: Alexander Wohnig: stellen, okay, will man sich in diesen Konflikt einmischen und wenn ja, wie?

00:22:46: Alexander Wohnig: Und da hätte politische Bildung meiner Meinung nach auch die Aufgabe,

00:22:49: Alexander Wohnig: da Räume für zu bieten, um das zu planen, zu begleiten und auch zu reflektieren

00:22:55: Alexander Wohnig: und sich nicht herauszuziehen und zu sagen, na dann, das macht ihr bitte in eurer Freizeit oder so.

00:23:00: Alexander Wohnig: Und zu diesem Ohnmachtsgefühl und diesem Machtlosfühlen, da würde ich sagen,

00:23:07: Alexander Wohnig: diese Wahrnehmung von Kinder und Jugendlichen ist ja erst mal im besten Sinne realistisch.

00:23:12: Alexander Wohnig: Es ist ja tatsächlich nicht so, dass wir die Erfahrung machen,

00:23:15: Alexander Wohnig: dass wir das alles irgendwie im Griff hätten.

00:23:19: Alexander Wohnig: Oder dass wir auch Selbsteinfluss auf bestimmte Dinge direkt hätten.

00:23:25: Alexander Wohnig: Sondern ich würde sagen, das ist ja erst mal eine Erfahrung,

00:23:28: Alexander Wohnig: die es an der Oberfläche erst mal so trifft.

00:23:33: Alexander Wohnig: Da würde ich auch denken, dass politische Bildung auch da die Aufgabe hätte,

00:23:36: Alexander Wohnig: diese Erfahrung auch zum Ziel zum Thema oder zum Gegenstand zu machen.

00:23:41: Alexander Wohnig: Wir hatten mal ein Projekt gemacht, wo es um politisches Handeln ging,

00:23:45: Alexander Wohnig: aus politischen Bildungsseminaren heraus.

00:23:48: Alexander Wohnig: Und da wurden solche Ohnmachtserfahrungen natürlich auch artikuliert an verschiedener Stelle.

00:23:53: Alexander Wohnig: Die wurden dann da auch zum Thema gemacht. Die kommen ja auch nicht von irgendwoher,

00:23:57: Alexander Wohnig: die Ohnmachtserfahrungen, sondern die kommen von bestimmten Erfahrungen,

00:24:01: Alexander Wohnig: die man macht im Bildungssystem, in der Gesellschaft, im Hinblick auf politische Fragen.

00:24:09: Alexander Wohnig: Und das zum Thema zu machen, ist, glaub ich, die zentrale Aufgabe von politischer Bildung. Ja? Also ...

00:24:17: Alexander Wohnig: Ohnmacht jetzt nicht als etwas zu begreifen, was irgendwie einer schlechten

00:24:22: Alexander Wohnig: Wahrnehmung entspringt oder was ein Defizit ist. Die einen sind ohnmächtig,

00:24:27: Alexander Wohnig: die anderen nicht. Deswegen haben die einen ein Defizit, die anderen nicht.

00:24:30: Daniela Baum: Sondern das auch zu begreifen als etwas, was aus Erfahrungen entsteht,

00:24:35: Daniela Baum: aber letztlich sind natürlich auch die uns umgebenden Strukturen so,

00:24:41: Daniela Baum: sodass sie die politische Beteiligung von gerade der jüngeren Generation auch

00:24:47: Daniela Baum: nicht so sonderlich fördern, oder?

00:24:50: Alexander Wohnig: Ja, wobei ich sagen würde, was wir ja auch beobachten, ist, dass gerade die

00:24:55: Alexander Wohnig: jüngere Generation die ist, die im politischen Diskurs Themen setzt oder Themen setzen kann.

00:25:01: Alexander Wohnig: Und dass man schon sagen kann, dass denen natürlich auch mit Ablehnung begegnet

00:25:05: Alexander Wohnig: wird, auch teilweise, indem man sie überhaupt nicht ernst nimmt.

00:25:08: Alexander Wohnig: Also am Anfang dieser Fridays-for-Future-Debatte mit dem Fokus auf Schuleschwänzen,

00:25:13: Alexander Wohnig: also dass man ihnen überhaupt keinen inhaltlichen Punkt zugestanden hat,

00:25:16: Alexander Wohnig: auf das Schulschwänzen bezogen hat und so weiter.

00:25:21: Alexander Wohnig: Aber auf der anderen Seite sieht man ja schon, dass das die Generation ist, die diese Themen setzt.

00:25:26: Alexander Wohnig: Die die Themen bearbeitet, die neue Themen nach vorne bringt,

00:25:30: Alexander Wohnig: die sozusagen auch bewusstseinsverändernde Prozesse auf politischer Ebene,

00:25:37: Alexander Wohnig: gesellschaftlicher Ebene anregt.

00:25:39: Alexander Wohnig: Also die auch kollektiv in der Gesellschaft diskutiert werden.

00:25:43: Alexander Wohnig: Von daher würde ich sagen, klar, fehlen vielleicht institutionelle Möglichkeiten

00:25:48: Alexander Wohnig: oft oder sie werden nicht ernst genug genommen. Oder sie sind so ein bisschen pseudopartizipativ.

00:25:53: Alexander Wohnig: Also, beobachtet man oft bei so Jugendparlamenten zum Beispiel.

00:25:58: Alexander Wohnig: Oder auch in Bildungsinstitutionen wie Schulen. Es ist oft so,

00:26:02: Alexander Wohnig: dass da nicht wirklich Dinge verhandelt werden, die eine Relevanz hätten.

00:26:07: Alexander Wohnig: Sondern eher Dinge, die irrelevant sind, können dann demokratisch verhandelt werden.

00:26:10: Alexander Wohnig: Und vielleicht besteht da auch eher ein Problem, dass das auch eine Generation

00:26:14: Alexander Wohnig: ist, die vielleicht dann teilweise auch von der politischen Bildung enttäuscht ist.

00:26:20: Alexander Wohnig: Weil sie sozusagen Probleme sehen und machen, die sie dann im Bildungssystem

00:26:25: Alexander Wohnig: vielleicht wenig aufgegriffen finden oder empfinden.

00:26:29: Alexander Wohnig: Oder sie sind vielleicht schon weiter in ihrem Denken als das,

00:26:32: Alexander Wohnig: was dann das Bildungssystem ihnen anbietet an Reflexionsmöglichkeiten.

00:26:39: Daniela Baum: Das klingt so, als würde Ihnen das sehr viel Hoffnung machen,

00:26:41: Daniela Baum: auf die junge Generation zu schauen und zu sehen,

00:26:44: Daniela Baum: dass die eben trotz aller Widrigkeiten im System doch durchaus sehr politisch

00:26:51: Daniela Baum: interessiert sind und auch Themen setzen und sich vielleicht auch die Freiräume

00:26:56: Daniela Baum: so nach und nach gegen alle Widerstände erkämpfen.

00:27:01: Alexander Wohnig: Ja, Hoffnung ist nicht so mein Ding. Also, eigentlich ...

00:27:06: Alexander Wohnig: Ja, aber in Bezug auf die Frage würde ich sagen, schon. Ich hatte da auch schon Diskussionen.

00:27:13: Alexander Wohnig: Also, vielleicht ist das tatsächlich eine ... Teile, ne? Also,

00:27:17: Alexander Wohnig: da gibt's auch wahnsinnige Gaps,

00:27:19: Alexander Wohnig: da gibt's auch wahnsinnige Ungleichheitsstrukturen in den Generationen.

00:27:23: Alexander Wohnig: Da gibt's auch Diskurse, die Probleme von sozial Benachteiligten zum Beispiel

00:27:28: Alexander Wohnig: oder Benachteiligten allgemein weniger anerkennen.

00:27:33: Alexander Wohnig: Also auch in dieser Klimafrage. Da muss man schon auch kritisch drauf gucken,

00:27:37: Alexander Wohnig: dass das auch ein bestimmtes Milieu teilweise ist, die da agieren und die Themen

00:27:41: Alexander Wohnig: setzen können. Dass sie das auch mit einer gewissen Diskursmacht machen,

00:27:44: Alexander Wohnig: weil sie aus einem bestimmten Milieu kommen.

00:27:49: Alexander Wohnig: Aber insgesamt würde ich sagen, sind Kinder und Jugendliche alle insofern politisch,

00:27:54: Alexander Wohnig: dass sie alle irgendwie politische Themen und politische Interessen haben.

00:27:58: Alexander Wohnig: Vielleicht werden die einen aktuell mehr gesehen und aufgegriffen,

00:28:01: Alexander Wohnig: gerade vor dem Hintergrund der Klimadebatte, als die anderen.

00:28:06: Alexander Wohnig: Also kann man vielleicht ein bisschen Hoffnung haben, wenn ...

00:28:09: Alexander Wohnig: Oder die Hoffnung würde sich auch daraus speisen,

00:28:11: Alexander Wohnig: dass sich dadurch auch was in Bildungssystemen und Konzepten verändert,

00:28:15: Alexander Wohnig: also dass man tatsächlich stärker von den Subjekten mittlerweile ausgeht und

00:28:19: Alexander Wohnig: guckt, welche Positionen bringen die mit, welche Probleme bringen die mit.

00:28:24: Daniela Baum: Das bringt mich zu der Frage, ob wir denn die richtigen Fragen stellen.

00:28:29: Daniela Baum: Meine Kollegin Marie Heidfeld, die hat in der 1. Folge dieser Podcast-Reihe

00:28:34: Daniela Baum: Sie zitiert, Herr Wohnik, nämlich mit einer Frage, die Sie allen stellen offenbar.

00:28:42: Daniela Baum: Und zwar möchte ich die Ihnen jetzt gerne stellen. Was stört Sie denn?

00:28:47: Alexander Wohnig: Was mich allgemein stört, ja.

00:28:49: Daniela Baum: Was stört Sie und was finden Sie ungerecht?

00:28:53: Alexander Wohnig: So stelle ich die Frage nicht, Aber ich weiß jetzt, worauf's hinaus soll.

00:28:57: Daniela Baum: Wie stellen Sie die denn im Normalfall?

00:28:59: Alexander Wohnig: Ja, ich würde immer fragen, wo ... Ja, also, wie war das?

00:29:05: Alexander Wohnig: Ja, in einem Projekt hatten wir das mal. Ich finde doof, dass ...

00:29:10: Daniela Baum: Bisschen plakativer und eingängiger.

00:29:13: Alexander Wohnig: Genau, also das ist auch wieder ein Beispiel aus diesem Sozialprojekt,

00:29:17: Alexander Wohnig: Beispiel vom Anfang unseres Gesprächs.

00:29:18: Alexander Wohnig: Und ich finde, das passt hier auch ganz gut. Also da war das so,

00:29:22: Alexander Wohnig: Kinder und Jugendliche sind, also Drittklässlerin bis zu Berufsschülerinnen,

00:29:27: Alexander Wohnig: die schon über 20 waren, sind in Sozialeinrichtungen gegangen und haben da sozial sich engagiert.

00:29:32: Alexander Wohnig: Als sie zurückkamen in dieses außerschulische Bildungsseminar,

00:29:34: Alexander Wohnig: war das Erste, was sie machen sollten, das zu reflektieren. Und am Ende dieser

00:29:37: Alexander Wohnig: Reflektion gab es diese Frage. Ich finde doof, dass ... Das sollten die dann aufschreiben.

00:29:43: Alexander Wohnig: Und da kamen so Sachen raus wie, ich finde doof, dass in der Pflegeeinrichtung

00:29:48: Alexander Wohnig: immer nur freitags Bingo gespielt wird.

00:29:50: Alexander Wohnig: Oder ich finde doof, dass in der Kindertagesstätte zu wenig Spielzeug vorhanden

00:29:55: Alexander Wohnig: ist. Oder ich finde doof, dass im Krankenhaus ich beobachten musste,

00:29:59: Alexander Wohnig: dass alte Menschen mit Medikamenten ruhiggestellt werden.

00:30:03: Alexander Wohnig: Und da kann man natürlich sagen, oh, alles ganz unterschiedliche Erfahrungen.

00:30:07: Alexander Wohnig: Nee, eigentlich nicht. Das hat alles was mit der Ausstattung von Einrichtungen zu tun.

00:30:12: Alexander Wohnig: Teilweise mit Pflegenotstand, teilweise mit Fachkräftemangel. Wo kommt das her?

00:30:17: Alexander Wohnig: Warum wird nur freitags Bingo gespielt? Sicherlich nicht, weil die dort Arbeitenden

00:30:22: Alexander Wohnig: irgendwie böse sind, sondern weil sie keine Zeit haben, an anderen Tagen was

00:30:27: Alexander Wohnig: zu machen, weil die Einrichtung nicht genug ausgestattet ist.

00:30:29: Alexander Wohnig: Dann kann man die Frage nach den Strukturen stellen. Wer ist verantwortlich dafür?

00:30:34: Alexander Wohnig: Wie funktioniert unser System und so weiter? Und deswegen immer diese Frage,

00:30:39: Alexander Wohnig: also, mich stört oder ich finde doof, das zu sagen, okay, eigentlich bei jeder

00:30:44: Alexander Wohnig: dieser Aussagen steckt ein strukturelles Problem dahinter.

00:30:48: Alexander Wohnig: Man muss als politische Bildnerin und Bildner die Fähigkeit besitzen,

00:30:53: Alexander Wohnig: das auf dieses strukturelle Problem zu beziehen.

00:30:56: Alexander Wohnig: Und dann kann man mit all diesen Erfahrungen wunderbar kritisch-politische Bildung machen.

00:31:02: Alexander Wohnig: Und so haben wir das in diesem Projekt gemacht. alle ihre Erfahrungen und dann

00:31:06: Alexander Wohnig: wurde, keine Ahnung, analysiert, wieso es einen Fachkräftemangel gibt.

00:31:10: Alexander Wohnig: Also sind die Leute irgendwie, die haben keine Lust auf diesen Job?

00:31:13: Alexander Wohnig: Oder ist der Job schlecht bezahlt? Gibt es eine gesellschaftliche Nicht-Anerkennung dieses Berufes?

00:31:18: Alexander Wohnig: Gibt es hier vielleicht auch geschlechterstereotypische Zuschreibungen,

00:31:23: Alexander Wohnig: die eine Wahl von einem Job beeinflussen und so weiter und so fort?

00:31:26: Alexander Wohnig: Also ausgehend von der individuellen Erfahrung hinzukommen zu den Strukturen.

00:31:31: Alexander Wohnig: Denn diese individuelle Erfahrung ist ohne diese Reflexion immer darin geendet,

00:31:36: Alexander Wohnig: dass es auch individuell gelöst werden sollte.

00:31:39: Alexander Wohnig: Also ich habe erfahren, dass da freitags nur Bingo gespielt wird.

00:31:42: Alexander Wohnig: Wie löse ich das? Ich gehe donnerstags hin und lese vor.

00:31:45: Alexander Wohnig: Und vielleicht kann man das auf Teile der BNE-Praxis auch so beziehen,

00:31:49: Alexander Wohnig: dass man sagt, okay, wenn die Umweltverschmutzung, aber auch die Klimakatastrophe

00:31:54: Alexander Wohnig: im individuellen Konsum gesucht wird, dann ist es ganz folgerichtig,

00:32:00: Alexander Wohnig: dass man in den Supermarkt geht und dort die Leute belehrt.

00:32:04: Alexander Wohnig: Und das ist natürlich auch, Man könnte als politische Bildnerin oder als Pädagogin

00:32:09: Alexander Wohnig: sagen, oder als Pädagoge, das ist auch gut, weil dann spüren die ja auch,

00:32:13: Alexander Wohnig: dass sie was machen können. Sie kommen auch mal raus und so weiter.

00:32:15: Alexander Wohnig: Natürlich, da kann man wenig gegen sagen.

00:32:18: Alexander Wohnig: Aber es ist wahrscheinlich nicht das, was den Kern des Problems trifft.

00:32:23: Alexander Wohnig: Und ich würde politische Bildung immer so definieren, dass es politische Bildung

00:32:28: Alexander Wohnig: ist, wenn es an diese strukturellen Kerne von Problemen und Konflikten und Fällen geht.

00:32:33: Alexander Wohnig: Und wenn es das nicht tut, Ja, dann kann es sogar so Deutungsmuster verstärken,

00:32:38: Alexander Wohnig: wie das soziale Probleme sind nur lösbar, wenn jeder sich ehrenamtlich engagiert.

00:32:43: Alexander Wohnig: Also Armut mit den Tafeln, Pflegenotstand

00:32:46: Alexander Wohnig: mit freiwilligem Engagement in Pflegeeinrichtungen und so weiter.

00:32:50: Alexander Wohnig: Ohne zu sagen, dass dieses Engagement schlecht ist. Das war's. Bis zum nächsten Mal.

00:32:54: Alexander Wohnig: Das ändert nichts am Problem strukturell, denn wie wir sehen,

00:32:58: Alexander Wohnig: haben wir Tafeln seit, ich glaube, die hatten jetzt 30.

00:33:01: Alexander Wohnig: Geburtstag oder 35. schon. Und Armut verschärft sich.

00:33:06: Alexander Wohnig: Die lindern an Individuen Armut und machen ganz tolle Arbeit.

00:33:09: Alexander Wohnig: Aber das strukturelle Problem liegt nicht im fehlenden ehrenamtlichen Engagement von Individuen.

00:33:16: Daniela Baum: Kommt diese Ermutigung zum politischen Handeln denn eigentlich immer nur über

00:33:23: Daniela Baum: das Problembewusstsein,

00:33:24: Daniela Baum: über die quasi Protest oder die Auseinandersetzung eben mit Problemstellen und

00:33:32: Daniela Baum: die Erkenntnis, da muss sich jetzt was ändern?

00:33:34: Daniela Baum: Ist das genug Motivation zur Handlung?

00:33:37: Alexander Wohnig: Nein, also Motivation zur Handlung kann ganz unterschiedlich sein. Also ich glaube,

00:33:41: Alexander Wohnig: es gibt so Studien aus der Protestforschung, die zeigen, dass,

00:33:44: Alexander Wohnig: ich will jetzt keine falsche Zahl sagen, aber kein, also ein hoher Prozent,

00:33:50: Alexander Wohnig: 30 Prozent, sag ich jetzt mal, von Demonstrationsteilnehmenden da hingehen, abstrahiert vom Thema.

00:33:56: Alexander Wohnig: Weil Freunde dorthin gehen, weil die Personen, die dorthin gehen,

00:34:00: Alexander Wohnig: als besonders cool gelten oder als das erstrebenswert ist, da auch zu sein.

00:34:06: Alexander Wohnig: Ja, weil man rausgeht und sich das anbietet. Also da gibt es Es gibt Studien,

00:34:11: Alexander Wohnig: die zeigen, dass das nicht immer vom Thema ausgeht.

00:34:15: Alexander Wohnig: Ich würde da auch sagen, da kann politische Bildung sich vielleicht noch entspannen

00:34:20: Alexander Wohnig: und sagen, man kann auch zu einer Demonstration gehen aus Bildungszwecken.

00:34:25: Alexander Wohnig: Man kann auch danach sich fragen, wie ist das abgelaufen? Welche Themen werden

00:34:29: Alexander Wohnig: da verhandelt? Wie werden die verhandelt?

00:34:32: Alexander Wohnig: Wie ist da das Verhältnis von den Individuen zur Öffentlichkeit? Und so weiter.

00:34:37: Alexander Wohnig: Wie werden die politischen Themen da gesetzt? Was ist überhaupt das Problem?

00:34:42: Alexander Wohnig: Also, von daher würde ich sagen, diese Motivation kann vielfältige Gründe haben.

00:34:46: Alexander Wohnig: Aber aus den eigenen politischen Bildungsprojekten, die ich beforscht hab,

00:34:51: Alexander Wohnig: lässt sich vielleicht sagen, die Motivation zum Handeln ist sehr viel höher,

00:34:56: Alexander Wohnig: wenn man irgendwie einen eigenen Zugang dazu hat.

00:34:59: Alexander Wohnig: Also, wenn es die Buslinie betrifft, die man selbst fährt und die nur im Stundentakt

00:35:05: Alexander Wohnig: fährt, und man verändern will, dass die alle halbe Stunde fährt,

00:35:08: Alexander Wohnig: Dann ist das viel höher, als zu sagen, ich will irgendwo ganz anders was machen.

00:35:14: Alexander Wohnig: Also im sozialen Umfeld zu gucken.

00:35:17: Daniela Baum: Ja, es sind so ganz viele psychologische Faktoren, die da auch mit reinspielen,

00:35:21: Daniela Baum: ob ich ins Handeln komme oder nicht.

00:35:23: Alexander Wohnig: Ja.

00:35:24: Daniela Baum: Sie sind ja Politikdidaktiker an der Universität in Siegen.

00:35:31: Daniela Baum: Arbeiten Sie da an der Universität eigentlich auch viel mit Zukunftsbildern?

00:35:37: Alexander Wohnig: Ja, gute Frage. Also dieses Thema Utopien oder Zukunftsbilder ist so ein immer

00:35:44: Alexander Wohnig: wieder aufploppendes Thema in der politischen Bildung, aber wenig bearbeitet.

00:35:47: Alexander Wohnig: Zum Beispiel über so Methoden wie die Zukunftswerkstatt.

00:35:51: Alexander Wohnig: Da machen wir das schon. Wir machen das auch in Jugendbildungsseminaren.

00:35:56: Alexander Wohnig: Wir machen das auch in der universitären Lehre. Also da geht es schon auch immer

00:36:01: Alexander Wohnig: um die Frage, wie Zukunft aussehen könnte.

00:36:04: Alexander Wohnig: Und ich würde sagen, dass politische Bildung das auch immer thematisiert.

00:36:07: Alexander Wohnig: Also die Analyse der bestehenden Strukturen und die plakativ gesagt Kritik der

00:36:12: Alexander Wohnig: bestehenden Verhältnisse ist ja jetzt kein Denksport zum Selbstzweck,

00:36:17: Alexander Wohnig: sondern immer zur Veränderung von Gesellschaft.

00:36:22: Alexander Wohnig: Also ich habe ein Problem erkannt, ich muss dann die Verhältnisse verstehen,

00:36:26: Alexander Wohnig: um zu wissen, Wie kann ich da intervenieren?

00:36:28: Alexander Wohnig: Oder wo steckt da überhaupt der Kern des Problems?

00:36:31: Alexander Wohnig: Und mein Ziel ist dann ja eigentlich schon, auch Gesellschaft zu verändern.

00:36:36: Alexander Wohnig: Also zur Demokratisierung oder Emanzipation.

00:36:40: Daniela Baum: Was geben Sie denn Ihren Studierenden so mit auf den Weg, um sie zu ermutigen, in ihrer später.

00:36:50: Daniela Baum: Diesen Aspekt des Befähigens zum politischen Handeln ja nicht an die Seite zu schieben quasi.

00:36:57: Daniela Baum: Das wirklich mit zu berücksichtigen in der politischen Bildung.

00:37:01: Alexander Wohnig: Wir behandeln das hier auch schon so demokratietheoretisch. Also ich würde auch

00:37:05: Alexander Wohnig: sagen, politische Bildung muss sich da nicht arg verrenken, um das sozusagen zu legitimieren.

00:37:10: Alexander Wohnig: Also es gibt ein Recht der Individuen auf Beteiligung in der liberalen Demokratie.

00:37:15: Alexander Wohnig: Und wir wissen auch, dass dieses Recht aber ungleich verteilt ist aufgrund von

00:37:20: Alexander Wohnig: gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen und aufgrund von Benachteiligungen.

00:37:25: Alexander Wohnig: So würde ich das begründen und dann mit auf den Weg geben, kann ich sozusagen

00:37:30: Alexander Wohnig: Ideen für Konzepte, wie man das dann konkret tut.

00:37:33: Alexander Wohnig: Also meine Überzeugung ist immer mehr,

00:37:36: Alexander Wohnig: dass es eben auch darum geht, dass auch politische Bildnerinnen und Bildner

00:37:40: Alexander Wohnig: und Pädagoginnen und Pädagogen auch einen Blick dafür entwickeln,

00:37:45: Alexander Wohnig: wo in diesen Themen, die thematisiert werden, und in den Problemen,

00:37:50: Alexander Wohnig: die mitgebracht werden, eigentlich strukturelle Konflikte und Probleme liegen.

00:37:55: Alexander Wohnig: Es gibt ein bekanntes Beispiel, das mache ich oft in der Lehre,

00:37:59: Alexander Wohnig: das Projekt Kastanie aus dem demokratischen Handeln in den 90er-Jahren.

00:38:05: Alexander Wohnig: Da sollte auf dem Nachbargrundstück einer Schule eine Kastanie gefällt werden,

00:38:10: Alexander Wohnig: weil ein Investor hatte dieses Grundstück von der Stadt gekauft,

00:38:13: Alexander Wohnig: um da ein Hotel draufzubauen.

00:38:15: Alexander Wohnig: Und dann protestieren die Kinder dagegen. Und alles selbst organisiert,

00:38:19: Alexander Wohnig: da sind noch gar keine Lehrerinnen und Lehrer im Spiel. Die treffen sich an

00:38:22: Alexander Wohnig: der Kastanie und halten am Mahnwachen, damit die nicht gefällt wird.

00:38:27: Alexander Wohnig: Sammeln Unterschriften, reden sogar mit dem Bürgermeister. Irgendwann wird diese

00:38:29: Alexander Wohnig: Kastanie trotzdem gefällt. Und die Kinder protestieren.

00:38:33: Alexander Wohnig: Und in dieser Projektbeschreibung steht dann, aber Protest ist nicht alles.

00:38:38: Alexander Wohnig: Das Projekt bekommt eine konstruktive Wendung.

00:38:41: Alexander Wohnig: Die Schülerinnen und Schüler sammeln mithilfe einer Lehrperson,

00:38:44: Alexander Wohnig: da ist zum ersten Mal ein Lehrer dabei, spenden und pflanzen selbst Stecklinge.

00:38:52: Alexander Wohnig: Da mach ich das mit meinen Studierenden immer so, die finden das Projekt super,

00:38:55: Alexander Wohnig: und erst mal ist wenig dagegenzusagen.

00:38:59: Alexander Wohnig: Aber das ist natürlich spannend, dass die konstruktive Wendung dieses Spenden

00:39:03: Alexander Wohnig: sammeln und selbst Bäume pflanzen ist.

00:39:05: Alexander Wohnig: Wohingegen der politische Protest vorher irgendwie nicht so konstruktiv gewesen

00:39:10: Alexander Wohnig: sein muss, sonst hätte dieses Projekt keine konstruktive Wendung gebraucht.

00:39:14: Alexander Wohnig: Da würde ich fragen, was ist hier das strukturelle Problem? Also,

00:39:18: Alexander Wohnig: ist das strukturelle Problem von diesem Engagement, dass da ein Baum jetzt fehlt

00:39:23: Alexander Wohnig: und man pflanzt einfach neue?

00:39:25: Alexander Wohnig: Oder geht es da um generelle Frage von Eigentum, von der Frage,

00:39:31: Alexander Wohnig: wem gehört der öffentliche Raum? Oder Verhältnis von Natur?

00:39:37: Alexander Wohnig: Also Ökonomie und Ökologie, klassische Lehrplanthema in der siebten Klasse in

00:39:41: Alexander Wohnig: der politischen Bildung oder achten.

00:39:43: Alexander Wohnig: Ökologie versus Ökonomie könnte man auch argumentieren.

00:39:46: Alexander Wohnig: Also die Kastanie gegen den Investor in Anführungszeichen.

00:39:50: Alexander Wohnig: Und das ist, glaube ich, ganz wichtig. Und wenn man das schafft,

00:39:53: Alexander Wohnig: dann kann man auch Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.

00:39:56: Alexander Wohnig: Dann ist nämlich dieses Stecklingesammeln ein Ding, aber man kann tatsächlich

00:40:00: Alexander Wohnig: auch skandalisieren, dass hier im Interesse eines Investors diese Kastanie gefällt wurde.

00:40:07: Alexander Wohnig: Oder man kann kritisieren, dass es in dieser Kommune keine Baumschutzsatzung

00:40:11: Alexander Wohnig: gibt, die das verbietet, dass man so etwas tut, selbst wenn einem das Grundstück

00:40:14: Alexander Wohnig: gehört. So was gibt's ja auch in Kommunen.

00:40:18: Alexander Wohnig: Könnte man stärker an diese Ebene reingehen. Und die Erfahrung in diesen Projekten,

00:40:23: Alexander Wohnig: die ich gemacht hab zum politischen Handeln mit Schülerinnen und Schülern in

00:40:25: Alexander Wohnig: außerschulischen Bildungskooperationen, ist, dass das genau dann auch auslöst,

00:40:31: Alexander Wohnig: dass man politisch sozusagen im öffentlichen Raum erscheinen will.

00:40:35: Alexander Wohnig: Also, dass man dann auch wirklich sagt, okay, das ist nicht zu lösen durch unser

00:40:39: Alexander Wohnig: individuelles soziales Engagement, sondern das ist nur zu lösen,

00:40:43: Alexander Wohnig: wenn wir im öffentlichen Raum uns irgendwie artikulieren.

00:40:46: Alexander Wohnig: Also sei es über eine Petition oder über einen Infostand oder man versucht tatsächlich,

00:40:51: Alexander Wohnig: Kontakt zu Politikerinnen herzustellen oder so was.

00:40:54: Daniela Baum: Ja, ist ein gutes Beispiel, weil im ersten Moment denkt man natürlich,

00:40:58: Daniela Baum: ja, es ist ja schön und wird auch aufgegriffen.

00:41:00: Daniela Baum: Aber was eigentlich aufgegriffen werden sollte, selbst wenn es nicht zur Skandalisierung kommt,

00:41:06: Daniela Baum: aber zumindest sollte es thematisiert und reflektiert werden,

00:41:10: Daniela Baum: was da passiert ist und was das vielleicht auch mit Machtstrukturen zu tun hat.

00:41:14: Daniela Baum: Und das ist ja eine wahnsinnig gute Bildungsgelegenheit.

00:41:19: Daniela Baum: Und die können natürlich auch im außerschulischen Kontext sehr gut benutzt werden.

00:41:24: Alexander Wohnig: Ja, und die lauern ja auch überall. Also diese Bildungsgelegenheiten sind ja

00:41:28: Alexander Wohnig: eigentlich überall. Diese Kastanie.

00:41:31: Alexander Wohnig: Also das würde ich auch sagen, ideale Bildungsgelegenheit für jeden,

00:41:36: Alexander Wohnig: der politische Bildung machen will aus dem Interesse der Kinder und Jugendlichen heraus.

00:41:42: Daniela Baum: Und selbst das Scheitern will ja auch gelernt sein sozusagen. Es geht ja auch darum.

00:41:49: Daniela Baum: Dann nicht zu resignieren, sondern zu sagen, okay, was können wir als Nächstes

00:41:53: Daniela Baum: machen? Wir sind nicht an unser Ziel gekommen, aber wir gehen nicht auf,

00:41:57: Daniela Baum: sondern suchen uns andere Verbündete beispielsweise und machen weiter.

00:42:01: Daniela Baum: Weil das wäre ja sonst deprimierend. Das ist ja auch ein Phänomen,

00:42:05: Daniela Baum: was häufig auftaucht, dass die Leute resignieren und auch denken,

00:42:09: Daniela Baum: was kann ich mit dem bisschen, was ich hier mache, überhaupt schon bewirken

00:42:13: Daniela Baum: für die Transformation?

00:42:13: Daniela Baum: Ja. Ich fand das ein ganz tolles Gespräch.

00:42:18: Daniela Baum: Es hat noch mal die Bandbreite aufgemacht und gezeigt, was politische Bildung

00:42:24: Daniela Baum: vermag und wie nah letzten Endes politische Bildung und BNE auch schon zusammen sind.

00:42:29: Daniela Baum: Oder auch wenn man es transformative Bildung nennt, dass da gar nicht mehr so

00:42:33: Daniela Baum: der große Unterschied ist.

00:42:34: Daniela Baum: Und dass es natürlich v.a. auch auf dieses Befähigen zum politischen Handeln

00:42:39: Daniela Baum: ankommt, um letztlich auch, ja, in eine bestimmte Richtung uns zu entwickeln.

00:42:45: Daniela Baum: Das fand ich auch einen ganz interessanten Aspekt, dass diese Bildung für etwas,

00:42:51: Daniela Baum: für nachhaltige Entwicklung oder für eine diskriminierungsfreie Welt,

00:42:56: Daniela Baum: dass das natürlich immer schon eine Intention hat in eine bestimmte Richtung,

00:42:59: Daniela Baum: eine normative oder ein Wertegerüst hat.

00:43:02: Daniela Baum: Und dass man sich da auch jetzt nicht verbiegen muss, sondern das einfach transparent so ...

00:43:09: Daniela Baum: Darlegen kann, ohne überwältigend zu sein für die Lernenden,

00:43:14: Daniela Baum: sondern da auch immer noch den Raum offen zu halten für unterschiedliche Strategien

00:43:20: Daniela Baum: und Ansätze, um da ins Handeln zu kommen.

00:43:24: Daniela Baum: Und dass es natürlich vor allen Dingen auch sehr wichtig ist,

00:43:26: Daniela Baum: sich die richtigen Fragen zu stellen und vielleicht auch mal häufiger zu fragen,

00:43:32: Daniela Baum: was ich doof finde in meinem Umfeld, um es dann reflektieren zu können.

00:43:40: Daniela Baum: Einmal, dass da etwas ist, was mir nicht gefällt, aber dann halt auch in den

00:43:45: Daniela Baum: nächsten Schritt reinzukommen und zu sagen,

00:43:46: Daniela Baum: okay, was kann ich denn vielleicht strukturell verändern, um das Problem zu

00:43:53: Daniela Baum: beseitigen und möglichst dann auch noch mit anderen zusammen,

00:43:56: Daniela Baum: weil das macht dann letzten Endes auch noch Spaß, sich mit anderen zusammenzutun

00:44:00: Daniela Baum: und politisch aktiv zu werden.

00:44:04: Elisa Thomaset: Das war die letzte Folge in unserer Reihe Transformation gestalten lernen im

00:44:08: Elisa Thomaset: German Watch Podcast. Wenn ihr gerne noch mehr über transformative Bildung für

00:44:12: Elisa Thomaset: nachhaltige Entwicklung und was das mit politischem Engagement zu tun hat,

00:44:15: Elisa Thomaset: erfahren wollt, schaut doch mal in die Shownotes dieser Folge.

00:44:19: Elisa Thomaset: Dort findet ihr zahlreiche Links zu weiteren Info- und Bildungsmaterialien rund um das Thema.

00:44:24: Elisa Thomaset: In zwei Wochen geht es weiter mit einer neuen Reihe zum Thema Psychologie und

00:44:28: Elisa Thomaset: gesellschaftliches Engagement.

00:44:30: Elisa Thomaset: Darin sprechen unsere Kolleginnen aus dem BNE-Team miteinander und mit Gästinnen,

00:44:34: Elisa Thomaset: welchen Einfluss unsere Psyche auf unser Engagement für eine nachhaltige Entwicklung hat.

00:44:39: Elisa Thomaset: Wenn ihr keine neue Folge mehr verpassen wollt, abonniert am besten direkt unseren

00:44:43: Elisa Thomaset: Podcast. Wir freuen uns über eure Kommentare und Anregungen zu dieser und unseren weiteren Folgen.

00:44:49: Elisa Thomaset: Schreibt dazu einfach eine Mail an podcast at germanwatch.org.

00:44:53: Elisa Thomaset: Diese Podcast-Folge wurde gefördert von Engagement Global mit Mitteln des Bundesministeriums

00:44:58: Elisa Thomaset: für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie durch die Postcode-Lotterie.